Delmenhorst. Für den Dipl.-Ing. Gary Zörner, Leiter des Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik (Lafu) auf der Delmenhorster Nordwolle, kommt der zweite Lockdown, der am 2. November bundesweit in Kraft tritt zu spät.
Warnt vor unsichtbaren Gefahren: Gary Zörner, Leiters des Lafu.
Zu spät, zu schwach, zu kurz. Gary Zörner, Leiter des Delmenhorster Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik, kurz Lafu, hat eine klare Meinung, wenn es um den zweiten sogenannten Lockdown geht, der bundesweit angesichts steigender Corona-Neuinfektionen ab dem 2. November das öffentliche Leben wieder deutlich zurückfahren soll. Der gelernte Laboranalytiker und studierte Lebensmitteltechnologe ist unter anderem Experte für Hygiene und kennt sich besonders gut aus mit Gesundheitsrisiken, die etwa in Gebäuden vorhanden sind, also zum Beispiel mit Wohngiften, die sich in Möbeln, Baustoffen oder Textilien befinden. „Die sind ebenso unsichtbar wie das Coronavirus“, sagt Zörner. Und darin sieht er eine große Gefahr. „Risiken, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, werden immer wieder verharmlost und verdrängt.“
Gefahr durch Aerosole
Er denkt dabei auch an das Thema Aerosole, das derzeit die Debatten bestimmt. Das Coronavirus SARS-CoV-2 wird nach derzeitigen Erkenntnissen vor allem direkt von Mensch zu Mensch übertragen, etwa beim Sprechen, Husten oder Niesen. Bei der Übertragung spielen Tröpfchen wie Aerosole, also feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel und Tröpfchen, die längere Zeit in der Luft schweben können, eine Rolle, wobei der Übergang zwischen den beiden Formen fließend ist. „Es gibt Untersuchungen, in denen nachgewiesen wurde, dass ein Mensch, der still in einem Bett liegt, beim Atmen Aerosole abgibt, die in bis zu vier Meter Entfernung nachweisbar bleiben. Bei einem Jogger fliegen die Aersole bis zu zehn Meter weit“, sagt Zörner. „In einem Flugzeug wurde nachgewiesen, dass ein Infizierter trotz des Luftaustausches über Lüftungssysteme im Umkreis von fünf Metern andere anstecken kann. Es müsste schon ein Hurricane durch die Maschine sausen, um das Ansteckungsrisiko auf Null zu bringen.“
Einfaches Lüften, wie es jetzt in geschlossenen Räumen empfohlen werde, mindere durch den Luftaustausch zwar das Ansteckungsrisiko, aber es verhindere es eben nicht ganz. Unterricht in Schulen? „Wenn überhaupt dann nur komplett mit Maske. Ohne ist das Harakiri“, sagt Zörner. Er selbst aber hätte dazu geraten, die Schulen für einige Zeit komplett zu schließen, „um Schlimmeres zu verhindern“.
Gary Zörner kann „unsichtbare Gefahren“ sichtbar machen.
Zörner hat schon früh vor den Folgen der Corona-Pandemie gewarnt. Bereits im Februar hat er dazu aufgefordert, mehr Aufklärung zu leisten, die Menschen beim Thema Hygiene zu qualifizieren und sensibilisieren. Aus seiner Sicht ist das bis heite in weiten Teilen versäumt worden. Er sieht deutliche Parallelen zu den Themen wie Schimmel oder Asbest. „Für die meisten Menschen sind die Ursachen von Belastungen für Gesundheit und Umwelt zum Beispiel durch Bakterien, Viren, Schimmel und Schadstoffen nicht mit bloßem Auge zu erkennen. Dennoch wird zu wenig Aufwand betrieben, die breite Bevölkerung über den Umgang und mögliche Gefahren aufzuklären“, ist er überzeugt. Dabei gebe es Experten wie den Berliner Virologen Christian Drosten, der das allgemeinverständlich immer wieder versuche.
Schulen als Risiko
Den Schulunterricht in deutschen Schulen hat Zörner schon vor Corona für ein Risiko gehalten. „14.000 Schulen in Deutschland sind mit PCB verseucht, das kann zu Leberkrebs führen. Diese Gefahrenquelle müsste untersucht, aufgespürt und entfernt werden“, sagt der Lafu-Chef. Das Risiko für die Lehrerschaft und die Schüler sei hoch. „Doch diese Aufklärung wird systematisch verhindert, weil die Sanierung natürlich viel Geld kosten wurde. Einfach mehr lüften reicht da nicht.“ Die Corona-Lage sieht er ähnlich. Die Aufklärung über Gefahren und Hinweise, wie man sich richtig verhält, hätten viel früher und zielgerichteter kommen müssen. Die Lockerungen nach der ersten Welle seien zu früh und zu weitgehend gekommen. „Den Menschen ist bis heute nicht klar, was das exponentielle Wachstum, also die Vervielfachung der Infektionsfälle in kurzer Zeit, bei Corona bedeutet“, sagt Zörner. Bilder wie aus Bergamo oder New York seien eben nicht aus einer anderen Welt. „Diese Bilder könnte es bald schon bei uns geben“, sagt Zörner mit Blick auf die vielen Toten und die völlig überlasteten Krankenhäuser, wo dann Intensivbetten, Beatmungsgeräte und ausreichend geschultes Personal fehlen.
Zörner sieht Mangel an Empathie
Regelrecht in Rage reden kann sich Zörner, wenn es um Corona-Leugner geht, um die Demos, „auf denen die so gennannten Covidioten Hand in Hand mit Faschisten marschieren“. Aber er spart auch nicht an Kritik an denen, die zwar die Gefahren von Covid-19 kennen, „aber immer nur Ich Ich Ich denken“. „Es fehlt an Empathie, unsere Gesellschaft ist längst an einen Punkt gebracht worden, wo jeder nur an sich denkt und nicht das große Ganze sieht. Jeder sagt: Mein Restaurant muss aber geöffnet bleiben, mein Fitnessstudio darf nicht geschlossen werden, meinen Geburtstag will ich feiern. Wir sollten an die denken, die in den Krankenhäusern Dienst schieben und um Leben kämpfen. An die, die schwer erkranken, an die, die ihr Leben verlieren. Auch an die Angehörigen. Wer das mit Mitgefühl tut, der muss in der Lage sein, auch einen Lockdown zu akzeptieren.“ Sicher müsse Unternehmen wie Gastrobetrieben finanziell geholfen werden, das stehe außer Frage, aber eine Schließung sei jetzt wichtig, um Infektionsketten wirksam zu unterbrechen. Dass in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, allen voran in den USA, lange Zeit „aus Sorge vor Schäden für die Wirtschaft keine ernstzunehmenden Maßnahmen gegen eine Ausbreitung des Virus umgesetzt wurden“, das kritisiert Zörner scharf. Dass der Fußball in der Bundesliga und in der Champions League rollt: für Zörner in diesen Zeiten ein Unding, selbst ohne Zuschauer im Stadion.
Der Lafu-Chef, selbst – wie er sagt – fast ein 68er, weiß, was es bedeutet, wenn das öffentliche Leben heruntergefahren wird. Die vorübergehende Einschränkung der Freiheitsrechte, die müsse man aber nun hinnehmen, um noch Schlimmeres zu verhindern. Ob ein November-Lockdown in der jetzt geplanten Variante hilft? Zörner bleibt skeptisch. Er bleibt beim Stichwort Lockdown dabei: Zu spät, zu schwach, zu kurz.
Von Marco Julius