Gespräch mit einer MCS-Kranken / Lafu-Seminar über „Grenzenlosigkeit der Grenzwerte“
Von Nicole Baumann
Mehr als 10.000 Deutsche leiden an MCS, der so genannten „Multiplen Chemikalien-Sensivität“. Der DELME REPORT sprach mit einer MCSKranken, sprich einer chemisch verletzten Frau aus Delmenhorst. Treffpunkt: Lafu, das Nordwolle-Labor für mikrobiologische und chemische Analysen. Dort fühlt sich Brigitte Müller (der Name wurde von der Redaktion geändert) verstanden, dort stößt sie auf offene Ohren. Seit ihrer Kindheit plagt sich Brigitte Müller durch den Alltag, reagiert mit den unterschiedlichsten Krankheitssymptomen auf chemisch belastete Innenräume, Gegenstände oder Materialien. Sei es ein Schwächeanfall, plötzliche Konzentrationsschwächen, allergische Reaktionen, Hautschwellungen oder massiver Zahnausfall, Bewusstlosigkeit und Übelkeit für Brigitte Müller ist jeder Tag eine Qual, überall wird sie mit Chemie konfrontiert, in Kaufhäusern, Autos, Büros und auch daheim, nie weiß sie, wie ihr Körper auf die unsichtbaren Einflüsse reagieren wird. Das Resultat: Angst, Isolation, Einsamkeit…
So oft Brigitte Müller ihre Wohnung wechseln musste, weil sie es zwischen Holzschutzmittel, Flammschutzmittel, PCBs und Co. nicht mehr aushalten konnte, so häufig sie es vorgezogen hatte, auf einer Parkbank statt in ihrem Schlafzimmer zu nächtigen, ebenso oft habe sie auch den Arzt wechseln müssen. „Die Diagnosen reichten von Vitaminmangel bis hin zur schweren Depression“, erzählt die Delmenhorsterin und fügt hinzu: „Ein Arzt sagte mir sogar, dass ich mir doch einen Mann suchen sollte, statt immerzu in seine Praxis zu kommen“. Nach vielen Jahren sei sie dann auf einen Internisten in Oldenburg aufmerksam geworden. „Als er mir sagte, dass meine Reaktion völlig normal sei und ich eine MCS hätte, war ich völlig von den Socken“, erläutert Brigitte Müller. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie jemand verstanden habe. Auch andere MCS-Kranke habe sie daraufhin kennen gelernt. Die Kehrseite: Eine regelmäßige Behandlung der Krankheit kann sich Brigitte Müller leider nicht leisten. „Man kann uns das Leben mit bestimmten Entgiftungskuren erleichtern, allerdings müssen wir die komplette Behandlung aus eigener Tasche zahlen“, so die Betroffene. Die Krankenkassen würden weder die Behandlung noch eine vom Arzt verschriebene Kur in der Umweltklinik Neuenkirchen übernehmen.
Neben den zahlreichen Diagnosen hat Brigitte Müller in den vergangenen Jahren auch diverse Wohnungsgutachten sammeln können. Sowohl sie selbst als auch einige Vermieter hätten ihre Wohnungen auf Schadstoffe untersuchen lassen. Die Ergebnisse klaffen enorm auseinander, wie Lafu-Chef Gary Zörner kopfschüttelnd feststellen muss. “ Es ist manchmal fast kriminell, wenn man sieht, in welch schlechter Qualität einige Gutachten erstellt werden.“ Normalerweise müssten im Hausstaub von den schwerflüchtigen Verbindungen (SVOC) zehn Schadstoffgruppen untersucht werden. In den vorliegenden Gutachten sei nur eine Gruppe berücksichtigt worden. Die in der Raumluft normalerweise zu untersuchenden flüchtigen Verbindungen (VOC zirka 100) habe man gar nicht untersucht, bedauert der Wissenschaftler. Das sei unverantwortlich gegenüber den gesundheitlich geschädigten Personen. „Es sollte inzwischen bekannt sein, dass geringste Schadstoffmengen schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben können“, so Gary Zörner.
Die Fragen der „Grenzenlosigkeit der Grenzwerte“ möchte der Lafu-Chef unter anderem in seinem Innenraum-Seminar am kommenden Freitag, 27. Januar, im Nordwolle-Technologiezentrum, zur Sprache bringen. „Denn Grenzwerte, die doppelgewichtig neben ihrer Limitierung von Gefährdung ja auch immer ein Freisetzungsrecht schaffen, bedeuten so gesehen auch die Erlaubnis zur Giftstoffbelastung“, erklärt der Wissenschaftler. Als Referent wird während des Seminars auch Dr. Johann Böhmann, der Chef der hiesigen Kinderklinik, einen Vortrag zum Thema „Umwelt und Allergie“ halten. Beginn ist um 14.30 Uhr, weitere Informationen dazu sind unter Telefon 04221 / 1 44 52 erhältlich oder im Internet unter www.lafu-gmbh.com einsehbar.