Delmenhorster Laborchef Zörner im Interview

Delmenhorst . Niedersachsen führt in der Corona-Krise die allgemeine Maskenpflicht ein – und lockert zugleich andere Schutzmaßnahmen: Für den Chef des Delmenhorster Labors Lafu, Gary Zörner, passt das nur schlecht zusammen. Warum er die Maskenpflicht befürwortet und Lockerungen als fatal bezeichnet, schildert Zörner im Interview mit dieser Zeitung.

Die Corona-Pandemie hält das öffentliche Leben im Würgegriff. Bis vergangenen Montag zumindest. Seitdem haben in Niedersachsen wieder viele Geschäfte geöffnet, die Delmenhorster nutzen die Zeit zum Bummeln und Einkaufen. Auch Schulen sollen bald teilweise wieder öffnen. Aber gerade diese Lockerungen können sich als fatal erweisen, sagt Gary Zörner, Leiter des Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik (Lafu) in Delmenhorst. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Zörner über die Wirksamkeit von Mundschutzen, das Einfrieren des Öffentlichen Lebens und über die Gefahr, Schutzmaßnahmen jetzt schleifen zu lassen.

Wie gelangen Virenund Bakterien von Türklinken auf die Hände? Gary Zörner zeigt das zum Beispiel
in Schulungen zur Lebensmitteltechnik anhand von Schwarzlicht und aufgelöstem Vitamin B12.
Foto: Melanie Hohmann

Herr Zörner, am Montag soll in Niedersachsen die allgemeine Mundschutzpflicht im Zuge der Coronakrise in Kraft treten. Dabei sind einige Mediziner gar nicht überzeugt vom Nutzen von einfachen Stoffmasken, wie sie auch erlaubt sein werden. Wie bewerten Sie das aus ihrer Sicht? 

Gary Zörner: Wenn wir über Mundschutze oder Masken sprechen, sprechen wir auch über sogenannte Aerosole. Die kann man sich gewissermaßen als winzige wasserhaltige Schwebeteilchen in der Luft vorstellen. Man geht mittlerweile davon aus, dass das Corona-Virus neben Husten auch durch Sprechen übertragen werden kann. Trägt man nun eine Maske, oder auch ein simples Halstuch vor Nase und Mund, besteht gerade bei größeren Aerosolen eine gute Chance, dass sie hängen bleiben. So kann auch die Menge an Viren in den Aerosolen, die ich freisetze, erheblich reduziert werden.

Da keiner weiß, wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, aber vielleicht nur einen milden Krankheitsverlauf haben, schützt die Stoffmaske insoweit, dass ich andere nicht anstecke. Wichtig ist dabei das regelmäßige Waschen bei 60 Grad.

Klingt praktisch. Heißt das im Umkehrschluss, dass ich gegenüber meinen Mitmenschen die 1,5 Meter Sicherheitsabstand nicht mehr einhalten muss? 

Leider nicht. Einfache Masken helfen beim Nahkontakt wohl nicht weiter. Ihre Träger sollten den Abstand also wahren. Ist das aber sichergestellt sage ich: Jedes bisschen Maske hilft. Klar gibt es bei Masken Unterschiede. Bei den professionellen FFP-2- oder FFP-3-Masken geht so gut wie nichts mehr durch.

Krankenhausmitarbeiter dürften da aufhorchen. Schließlich gab es in der Vergangenheit auch bei diesen Schutzmasken Lieferengpässe, die einige Kliniken beklagt haben.

Stimmt, da gebe ich ihnen recht. FFP-2- oder FFP-3-Masken sollten Beschäftigten in Krankenhäusern oder Altenheimen vorbehalten sein, bis die Produktion nachhaltig angelaufen ist.

Welche wichtigen Infektionswege gibt es noch aus ihrer Sicht? 

In unseren Schulungen zum Thema Lebensmittelhygiene, die wir auch für Unternehmen anbieten, weise ich immer wieder darauf hin, wie wichtig Handdesinfektionen sind. Wir bauen dann zum Beispiel eine Demonstration auf, bei der wir mit Schwarzlicht die Schadstoffübertragbarkeit greifbar machen. Insbesondere sind Haupt-Infektionsüberträger Türgriffe, Wasserhähne oder Lichtschalter. Wenn die Teilnehmer dann sehen, wo sie überall Spuren hinterlassen, sind sie immer ganz ungläubig und überrascht. Aber allgemein fehlt es ja am Wissen oder der Aufklärung, was diese unsichtbaren Gefahren angeht.

Wie meinen Sie das? 

Kaum jemand kennt die verschiedenen Infektionswege, die uns im Alltag betreffen. Wir sind da alle nicht richtig aufgeklärt. Wir bekommen es auch nicht beigebracht. Das ist ein Problem der Wahrnehmung.

Haben Sie ein Beispiel? 

Mit dem WDR haben wir einmal einen Beitrag über hochgiftige Pestizide auf Orangenschalen, nicht bio wohlgemerkt, gedreht. Allein übers Anfassen gelangen die schon in den Körper. Aber auch, wenn Orangen aufgeschnitten werden und die Hände Orangenstücke berühren, die wir dann essen. Oder nehmen sie den Ausbruch der Legionärskrankheit vor einigen Jahren in Bremen. Damals sind voraussichtlich über Kühltürme in der Überseestadt Legionellen über Aerosole im Kühlwasser ausgetreten. Einfache Passanten haben sich die Bakterien eingefangen. Die Folge waren atypische Lungenentzündungen – aber darüber waren Ärzte und Kliniken zu wenig informiert. Es gab Tote. Oder dieses Beispiel: Wir als Lafu entnehmen zum Beispiel in der Industrie, in öffentlichen und privaten Gebäuden mit unseren akkreditierten Probenehmern auch Trinkwasser- oder Kühlwasserproben, eine durchaus systemrelevante Aufgabe.

Bei einem Futtermittelhersteller konnten wir so in einer Lagerhalle infektiöses Abwasser in einem Gully feststellen, aus dem Aerosole ausgetreten sind, die Salmonellen verbreitet haben.

Das meine ich mit unsichtbaren Gefahren. Und diese werden meiner Meinung nach überall unterschätzt.

Meinen Sie denn, dass die Gefahr durch Corona ebenfalls unterschätzt wird? Seit diesem Montag lässt die Landesverordnung ja wieder offene Geschäfte zu.

Schauen Sie sich doch das Verhalten von Gesundheitsminister Spahn an. So behauptete er am Anfang, dass das Coronavirus nicht gefährlicher als die normale Grippe wäre. Und nachdem die Pandemie längst Deutschland erreicht hatte, war der Flugverkehr noch erlaubt, es wurde noch fröhlich Karneval gefeiert. Da gingen wohl wirtschaftliche Interessen vor. Alles Mögliche wurde unterschätzt, die Realität verdrängt. Beim Leiter des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, war das nicht viel anders, als er im Januar meinte, dass von China aus sich die Coronaviren ja nicht um die Welt ausbreiten würden. Es gab lange vorher Anzeichen, dass so eine Pandemie kommen würde. Der Wissenschaft war bekannt, dass ein neues SARS-Virus ausbrechen würde. 2012 spielten die Behörden eine Pandemie bereits durch. Schon damals war klar, wie man mit vorbereitenden Maßnahmen reagieren muss. Atemgeräte oder Masken sind trotzdem nicht produziert worden. Bei einer entsprechenden Vorbereitung hätten wir heute einen Bruchteil an Todeszahlen und Infektionen.

Sie halten die Lockerungen also für falsch.

Ich halte sie für fatal. Jauchzen, feiern, Fußball – geht das hier daneben, wird es noch heftigere katastrophale gesundheitliche Auswirkungen geben. Derzeit spekuliert die Wissenschaft über eine zweite Corona-Welle im Herbst. Und die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich gut begründete Zweifel vorgelegt, ob wieder Genesene überhaupt gegen das Virus immun sind. Solange das nicht alles geklärt ist, darf es auf keinen Fall Lockerungen geben. Gerade weil das Virus so hochansteckend ist, erhöht die jetzige Lockerung das Risiko wahnsinnig, seine erneute Verbreitung zu beschleunigen.

Gary Zörner leitet das Delmenhorster Lafu seit 27 Jahren.

Zur Person

Gary Zörner (67) ist Leiter des Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik (Lafu) auf der Delmenhorster Nordwolle und dort seit 27 Jahren am Platz. Neben der Lebens- und Futtermittelhygiene, dem Infektionsschutz sowie der Wasserhygiene und -aufbereitung befasst sich das Lafu unter anderem mit Beratungen und Schulungen von Unternehmen oder Verbänden zum Thema Hygiene. Der studierte Diplom-Lebensmitteltechniker Zörner ist Fachkraft für technischen Umweltschutz. Der zweifache Vater arbeitet und lebt mit seiner Familie in Delmenhorst.

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